Körperliche Arbeit vs. körperliches Training, Teil I

Geehrte Leserschaft,

vor vielen Monaten habe ich mich, Chinner, zwar von der Blogarbeit zurückgezogen, aber hin und wieder sind doch wieder Themen aktuell, die es wert sind, beleuchtet zu werden:

Edit: Zum besseren Verständnis des unten stehenden Textes noch einige Sätze: Ich bin auf dem Dorf aufgewachsen, war schon immer sehr an Natur und co interessiert und hatte auch das, was auf Neudeutsch heute „Bushcrafterfahung“ heisst. Nach der Bundeswehr folgte Studium und das, was man landläufig Karriere nennt und ein Grossteil des Wissens lag brach und ging verloren.
Dies galt es zu ändern und dies habe ich dann im August 2015 in die Tat umgesetzt:

Rückblick I: 
Vor nun 13 Monaten habe ich begonnen das Schmiedehandwerk von der Pike auf zu lernen.
Mein Anspruch an die Lehre des Handwerks war: Es soll so orginal wie möglich auszuführen sein, ohne jegliche technischen Helferlein, ohne erleichternde Maßnahmen oder Abkürzungen, idealerweise vergleichbar mit der Zeit um 1000 n. Chr.

In meinen Fall heisst das: Diverse Hand- statt halbautomatische Federhämmer, Kohle- statt Gasesse und Feile statt Bandschleifer, richtiger Anschiss durch den Lehrherrn statt Stuhlkreis mit übertoleranten Schulungsleitern.

Rückblick II: 
Die Erlaubnis bzw. das „Bewerbungsverfahren“ wurde positiv entschieden, nachdem ich zugestimmt habe auch hin und wieder auf dem bei der Schmiede befindlichen Bauernhof zu helfen. Ich war mir grob bewusst, was dieses Mithelfen dann final auch bedeutet, aber eben nur grob.
Weiter gab mir der Schmied vier Wochen: Ich würde seiner Meinung nach eh nicht mehr kommen, da es [das Schmieden] zu schwer werden würde.

Rückblick III: 
Von den ursprünglich geplanten ein bis zwei Tagen pro Woche sind sehr schnell 20-25h pro Woche geworden, also recht genau ein Halbtagsjob….und das neben meinem eigentlichen Beruf. Aus den mir zugesprochenen vier Wochen wurden bisher 13 Monate.
Aktuell sind die Tage lang und [körperlich] teilweise sehr intensiv.
Manchmal kommt es mir so vor wie in der Einleitung von  Brooks Kubiks „Dinosaur Training“ beschriebenen Szene „Ein gebrechlicher junger Mann muss ein Jahr in einem Holzfäller-Camp arbeiten und wird gross und stark“ 🙂

Gegenwart mit kurzem Einblick in das Tagesgeschehen:

Da nun über ein Jahr vergangen ist, kann ich bewerten, was echte (!) körperliche Arbeit heisst, was körperliches Training nützliches bringt oder – im Umkehrschluss – nicht wirklich sinnvoll ist.Ich kann nun auch abschätzen, was es heisst: „Ich mache Dir Handwerk X, Du gibst mir Nahrung Y“. Ausreichend Nahrung Y zu generieren, um X überhaupt zu machen ist nicht ohne…

1. Logischerweise werden die Unterarme/ der gesamte Arm während des Schmiedens überaus intensiv belastet. Ich war zu Beginn in eben diesem körperlichen Bereich nicht schwach, aber ich konnte das Grobschmieden nicht so ausführen, wie es hätte sein sollen: Der drei (!) Kilo schwere Hammer war nach wenigen Schlägen einfach nicht mehr kontrollierbar. ich konnte die Hand nicht mehr schliessen. Drei, nur drei Kilo…keine acht oder zehn, nein, drei Kilo.

[Grobschmieden heisst bspw.: Eine 30mm dicke Rundstange aus einem zähen Werkzeugstahl so ausschmieden, dass man dann Flachmaterial von bspw. 5mm Dicke und 40mm Breite hat. Die Länge – und das ist das schwere – lassen wir mal aussen vor. Da braucht man nicht mit einem Kilohammer kommen, da braucht es brachiale Gewalt und Krafteinwirkung ergo einen schweren Hammer und Power.]

Zu Beginn konnte ich vielleicht fünf bis zehn Schläge machen, dann pulsierte der Unterarm dermaßen, dass ich den Hammer nicht mehr kontrollieren konnte. Das ist natürlich nicht nur Zeit- sondern auch Energieverschwendung (unter finanzieller Betrachtung), denn der Stahl glüht gut für 50 und mehr Schläge….wenn man das denn körperlich kann. Weiter ist es nicht ungefährlich, wenn das manuell geführte Werkzeug unkontrolliert macht, was es will. Mehr als einmal ist mir der Hammer sehr nah am Gesicht vorbei geflogen.
Eine weitere Folge war, dass ich in einige, teilweise intensive Anschisse gelaufen bin…“Hau halt endlich mal richtig hin.“…als kleines Beispiel.

Aber: Aktuell ist eben der drei Kilo Hammer das Werkzeug, dass ich zu 95% verwende, für grobe Sachen, für feine Sachen, für fast alles. Das Ding kontrolliert mich nicht mehr, nein, ich kontrolliere es.
Körperliche Folge: Meine rechte Hand ist sichtbar größer als meine linke, sehr viel verschwielter, sehr viel robuster und kräftiger.

2. Neben dem Schmieden war auch des öfteren Hilfe am Hof gefragt: Zäune der Tiere richten/ erneuern, Heu und Stroh einfahren, Bäume fällen und spalten.
So ist alleine das Zäune aufstellen ein grosser Kraftakt, denn man muss das Loch für die Pfähle händisch einstossen, dann den dicken Pfosten stellen und mit dem Vorschlaghammer gute 30cm in den Boden treiben.
Das mag bei einem Pfosten wenig beeindruckend sein, wenn es mal zehn und mehr werden wirds körperlich wirklich anstrengend und die Hände und Unterarme stehen wahrlich in Flammen.

Ein wenig imposantes, aber beispielhaftes Video:


Der mit dem grossen Hammer, ja, das bin ich.

Weiter müssen natürlich Tiere ernährt und versorgt werden, sodass zweimal im Jahr Heu gemacht wird. Das Einlagern in der Scheune ist dann die eigentliche Arbeit: Man sticht die Ballen mit der Gabel überkopf in die entsprechend Öffnung der Scheune…die in gut vier Metern Höhe ist.
Auch das ist pro Ballen kein Problem, bei 100 und mehr Ballen wirds richtig knackig und nicht nur die Unterarme, sondern der komplette Körper weint.

Natürlich gibt es noch weitere Arbeiten, die zu erledigen sind, aber dies sind einige der körperbetonten Highlights.
In Summe teilt sich das körperliche Aufgabenspektrum in etwa 80% Schmiederei und 20% Hofarbeiten auf.

Schlussfolgerung I:

1. Trotz Training und gutem Kraftlevel (20kg Blockweight und 54er-Inch auf Wiederholungen möglich) waren die Unterarme vor allem Bereich der Handgelenke zu schwach und zu wenig ausdauernd.

2. Dinge wie Planche, Backlever und Derivate sind „Nice-to-have“….mehr aber nicht. Ich möchte das Wort „nutzlos“ nicht verwenden und nenne es deswegen einfach „suboptimal“.

3. 54kg zu tragen sind nicht schwer….in Form eines Ambosses merkt man aber jedes Kilo.

4. 120kg zu heben sind ebenfalls nicht erwähnenswert, aber ein nasser Baumstamm mit 60cm Durchmesser und eben diesem Gewicht ist gewaltig und zu schwer.

5. Die Übung, die ich seltenst gemacht habe, hat sich als die für mich zielführendste erwiesen: Farmer Walks….hier ist Name Programm. Jedes Kilo mehr, jeder weiter gelaufene Meter bringt körperliche Dividende.
Hier aber ich frecherweise ein Design geklaut und die Griffe nachgebaut.

 

6. Alle Übungen, an denen die Hände beteiligt sind, werden nur, nur und nur und ausschliesslich nur mit dicken Stangen ausgeführt. Dick heisst mindestens 50mm. Einzig Seilklettern wird zwischen 30 und 60mm variiert, wobei beim 30mm Seil eine Gewichtsweste verwendet wird.

7. Mein 75kg Sandsack wird reanimiert und wird sehr aktiv in die Trainingstage eingebunden.

Zu gegebener Zeit folgt der zweite Teil…

13 Kommentare

  1. Respekt, grobe Willensleistung!!! Bin auf einem Bauernhof aufgewachsen. Kann das Geschilderte nachvollziehen, jedoch in den letzten 30 Jahren zum Bürohabitanten mutiert. Weil meine Eltern meinten, ich soll was "gscheit'es" Lernen. Die begonnene Beleuchtung von Trainingsübungen und er Nutzen bei "echter Arbeit" ist hochinteressant.

  2. Danke für diesen Artikel. Ist schon sehr ernüchternd, wenn man den "carry over" von Krafttraining zur körperlichen Arbeit sieht. Bitte halte uns auf dem Laufenden!

    • Hallo Michael,

      warte noch noch kurz ab.
      Es ist nicht so, als ob körperliches Training nichts bringen würde. Allerdings habe ich schon mehrmals einen Einführungskurs im Schmieden gehalten und die Besucher kamen aus allen (Trainings-) Schichten. Was da manchmal passiert ist – oder eben aufgrund "falscher" Kraft nicht passiert ist – na, da hatte ich grosse Augen und schon mal die Nummer des Physios bei der Hand. 🙂

      Im zweiten Teil des Artikels versuche ich so gut wie möglich die Erfahrungen des letzten Jahres auf ein Trainingsprogramm o.ä. umzumünzen. Vieles hat mir nichts gebracht, weniges hat aber echte Dividende gezahlt. Macht doch schon Hoffnung, oder 🙂

  3. Hallo Walter,

    besten Dank für Deinen Kommentar.
    Ja, es ist vor allem in den ersten Monaten sehr hart gewesen, da ich nichts zusammenbrachte. Allerdings sehe ich das Schmieden als absolute Leidenschaft an und ich freue mich am Ende eines Abends schon wieder richtig auf den nächsten Tag, so richtig. Und das ist auch jetzt noch so, eher noch schlimmer als am Anfang.
    Das lässt natürlich den ein oder anderen Frustrationsanfall schnell verfliegen.

    Tatsächlich war aber mein Studium und aktueller Beruf als Geschäftsführer fast das Ausschlusskriterium…der Senior, vom dem ich lerne, hat ungeachtet meiner körperlichen Grösse richtig eingeschätzt: Das wird auch für Dich richtig hart.
    Man muss wissen: Ich bin 1,87m mit 95kg…er vielleicht 1,65m mit um die 60kg. Wenn er mich dann zusammenscheisst, hat es schon fast was von Satire. Aber: Er hat unglaubliche Kraft und hat mich in der ersten Zeit so richtig stehen lassen. Jetzt nicht mehr, aber in den ersten Wochen stand ich da wie der Schulbub.

    Wie dem auch sei: Der Vergleich "Training/ echtes Leben" ist wirklich interessant und deswegen habe und möchte ich dies kurz beleuchten und darlegen.

  4. Super Ausführungen chinner

    Ich erinner mich noch an die Arbeiten mit meinem Großvater am Bauernhof. Der Kerl hatte auch keine 70 kg bwe und schleppte dennoch zwei 50 kg kornsäcke gleichzeitig die getreidekammer hinauf als wäre es nix…..Pranken tellergross und Adern auf den Unterarmen und bis ins hohe Alter aktiv

    Freu mich auf Teil 2 deiner Schilderungen

    • Servus Dominik,

      da hats mein Schmied nicht so gut, weil die Arbeit hat ihm die Gesundheit insbesondere die Bandscheiben gekostet. Normale Sachen gehen, aber Schmieden geht nicht mehr ohne grosse Schmerzen.

      Aber: Dies kann man natürlich mit zielgerichtetem Training aufhalten bzw. erst gar nicht entstehen. Dennoch ist es ziemlich beeindruckend, wenn ein körperlich gebrechlicher Mann einem jüngeren – eigntlich fitten – Mann stehen lässt wie nen Schulbub.

  5. Hallo Chinner,
    Super Artikel von dir! Bei 1. Lesen ist mit spontan der Gedanke gekommen: ohne dein vorheriges Training hättest du dich nie so schnell adaptiert…! Als Couchpotato wären 13 Monate niemals von Erfolg gekrönt worden!!?? Freue mich auf Teil 2 und danke für den Austausch deiner Erfahrungen!

    • Hallo Dieter,

      Du hast ohne Zweifel recht: Ohne vorheriges Training wäre die Ergebnisse bei WEITEM nicht so, wie sie jetzt sind.
      Aber: Ich hatte in 2014/ 2015 mit einer sehr schmerzhaften Schulterverletzung zu kämpfen, die mich oftmals behindert hat. Echtes Training war nicht möglich, nur eben "Krücken", um nicht ganz zu verkümmern.

      Natürlich ist es nicht nur das körperliche Training an sich, es ist auch eine gewisse Zähigkeit, die man braucht: Hitze, Schmutz, sehr, sehr viele größere und kleinere Verletzungen an den Händen, Brandblasen, etc. lassen so manchen Arbeitsschritt nicht so leicht werden.

      Ich hatte einige Gäste, die nach wenigen Stunden zu Verstehen gaben: "Nö, mag nimmer." Und das waren fitte Jungs. Da gab der Arm nach, die ersten Blasen kamen, usw.

      Mir ist bewusst, dass ich hier fast in die Richtung "Extremist" gehe, aber es sind soviele Dinge in den 13 Monaten passiert, die mich zweifeln lassen. Alleine "Ich esse Paleo, wie früher die Jäger und Sammler"…Ganz klar, aus der Supermarkttheke genommen ist das einfach.
      Allerdings war ich ein paarmal dabei, wenn eben ein Reh abgefangen und ausgezogen wird, da sage ich: Ganz klar, vier mal am Tag Fleisch, liebe Freunde, macht das mal in "echt"…also mit dem ganzen drum herum.

      Ich komme vom 100ten ins 1000ste….:-)

  6. Alter, geiler Bericht! Musste ein paar mal schmunzeln und habe dein Gesicht beim Fluchen bildlich vor mir gesehen :)) Ich würde mich richtig für dich freuen, wenn du den Absprung vom Geschäftsführer schaffst und dich voll und ganz deiner Leidenschaft dem Schmieden widmen kannst. Und dass es echte Leidenschaft ist, bringst du in deinem Bericht verdammt gut rüber. Freue mich schon darauf, dich mal schmieden zu sehen.

    • Ich habe mehr als einmal geflucht, das darfst glauben. Und auch mehr als einen Anschiss kassiert, der manchmal etwas unerwartet kam, aber er kam 🙂

      Inwieweit ich den Lebensweg zum Schmieden hin drehen kann, wird sich in den nächsten Monaten zeigen. Dafür muss ich noch einige Stellschrauben drehen, an die ich aber schon mal den Schraubenschlüssel angesetzt habe. Wird auf alle Fälle spannend.

      Die Schmiede ist in der Nähe von Ansbach, von dem her ein Katzensprung 🙂

  7. Ich habe dich gerade auf im TV auf BR Schwaben und Altbayern gesehen . War ganz perplex und hab meine Frau angestoßen und gesagt : ey ich kenne doch den Kerl !
    Cooler Bericht aus der Schmiede.
    Warum nicht mal z.B. ein YouTube Video oder Blog Artikel über dein aktuelles Training während der Schmiede und Bauernhofzeit . Würde mich sehr interessieren wie du neben der anstrengenden körperlichen Arbeit dein Training organisierst.

    Schöne Grüße aus Niedersachsen von Dominic

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